Musik marketing blog

Musik auf TikTok: Erkenntnisse eines Experiments

13.6.2023
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NICOLAJ GRUZDOV

TikTok ist als Marketing-Tool für die meisten Musiker:innen kaum wegzudenken. Dass die Kurzvideo-Plattform aber vermutlich auch auf die Musik in der App angewiesen ist, legt ein kürzlich durchgeführter Test nahe.

TikToks Bedeutung bei der Musikvermarktung

Spätestens seit „Old Town Road“ im Jahr 2019 war es allen klar: Ein 18-jähriger Rapper nimmt einen Song für $20 Dollar in einem Studio auf und landet den am längsten anhaltenden Billboard-Nummer-Eins-Hit seit Chartbeginn 1958.

Was wie ein Märchen klingt, ist die wahre Story von Lil Nas X. Und das mithilfe TikToks. Hier promotete der Künstler seinen Track „Old Town Road“ mit Challenges und meme-artigen Videos, sodass der Sound von Millionen von Usern genutzt wurde. Doch Lil Nas X blieb nicht der Einzige. Auch für Karrieren wie die von Megan Thee Stallion, Olivia Rodriguez und unzähligen weiteren Artists galt TikTok als Startrampe.

TikTok und die Musikindustrie

Dieses Potenzial erkannte nicht nur die Musikindustrie, die die App spätestens seitdem als essenzielles Marketing-Tool verwendet. Auch die Videoplattform ist sich des eigenen Wertes bewusst. Das zeigt sich u.a. im Versuch, die Position TikToks innerhalb der Musiklandschaft weiter zu stärken.

So launchte TikTokim März 2022 den eigenen Musikdistributions-Dienst SoundOn. Dieser beschäftigt A&R Scouts, Produktmanager:innen,Marketingmanager:innen und Personen im Live-Bereich. Kurzum: SoundOn bietet Artists Major-ähnliche Deals. Dadurch könnte es dem Social Media Giganten gelingen, Künstler:innen abzugreifen und den Einfluss gängiger Musiklabels zu schwächen.

Daneben gehört zum Mutterkonzern ByteDance ebenso der Musikstreaming-Anbieter Resso. Laut Tech Crunch könnte dieser nach vergangenen Tests bald auch in mehreren Ländern gestartet werden (Stand: 04.05.2023). Patente dafür stellte ByteDance bereits in Australien sowie in den USA unter dem neuen Namen TikTok Music. Insbesondere die Einbindung von Resso, bzw. TikTok Music in die TikTok-App könnte dem Streamingdienst schnell zu einer bedeutenden Marktmacht verhelfen und ernste Konkurrenz zu Spotify und Co darstellen.

Dies alles versetzt die Branche in Unruhe. Gleichzeitig beobachtet sie, dass Musik eine relevante Rolle beim gesteigerten Konsum von TikTok und den dadurch generierten höheren Einnahmen spielt. Labels deklarieren, TikTok funktioniere ohne ihre Musik weniger gut. TikTok hält dagegen, die Musikindustrie sei auf TikTok angewiesen. Der Ausgangspunkt für einen höchst interessanten Schlagabtausch.

Zwar bestehen Deals zwischen TikTok und den Major Labels sowie Publishern, doch diese gelten immer nur für einen bestimmten Zeitraum und werden daher regelmäßig neu verhandelt. Deshalb versuchten die drei Major Labels Universal Music, Sony Music und Warner Music im Jahr 2022 über einen längeren Zeitraum hinweg, bessere Konditionen zu erwirken. Sie sollten sowohl mehr Anteile an Werbeumsätzen erhalten als auch höhere Lizenzgebühren für die Nutzung von Musik beziehen. Dies könnte eventuell auch einer der Beweggründe gewesen sein, warum Sony Music im vergangenen Jahr u.a. kurzzeitig seinen Katalog auf Resso zurückzog. Auch in Indien, das eines der Testmärkte Ressos ist, fehlt der Katalog der Universal Music Group.

Diese Lage spitzte sich bis Anfang des Jahres 2023 zu, als TikTok ein Musik-Experiment durchführte.

TikToks Musik-Experiment in Australien

Ab Januar 2023 führte TikTok ein einmonatiges Experiment in Australien durch. Die Plattform kündigte Folgendes an:

Some of our community in Australia will not beable to access our full TikTok Sounds Library at the moment. This will only affect certain music and is scheduled work while we analyse how sounds are accessed and added to videos, as well as looking to improve and enhance the wider Sounds Library. (…) We appreciate it’s disappointing if a certain track is unavailable or if a sound is muted on a previous video. This change will not be in place for long and not all music is affected. We look forward to restoring our full catalogue soon.

Quelle: TikTok

Was TikTok in seinem Statement nicht nannte: Bei den kurzzeitig entfernten oder eingeschränkten Musikstücken für bestimmte User handelte es sich nicht um zufällig ausgewählte Songs, sondern um die Kataloge der drei Major Labels. Das legt nahe, die Plattform hoffe auf eine gleichbleibende Nutzung trotz eingeschränkter Musik, um so die nächste Verhandlungsrunde mit Stakeholdern aus der Musikbranche für sich zu entscheiden.

Das Ergebnis? Laut The Music Network lägen Analysen vor, die zeigten, dass die Anzahl der Nutzer:innen in Australien wider Erwarten nicht gleich blieb. Stattdessen ginge sie zu Beginn des Testzeitraums über drei Wochen lang kontinuierlich zurück. Auch danach verharre sie auf einem niedrigeren Niveau als vor dem Versuch. Gleichzeitig nähme auch die Zeit ab, die die User auf der Plattform verbrachten. Da genaue Zahlen nicht bekannt sind sowie keine offiziellen Statements von Seiten TikToks vorliegen, lässt sich dies jedoch nicht mit Sicherheit bestätigen.

Wie elementar Musik für die App ist, machten zahlreiche Statistiken in der Vergangenheit deutlich.

So beinhalten acht der zehn beliebtesten TikToks aller Zeiten auf globaler Ebene musikalische Elemente. Das heißt, die Videos wurden mit dem Song eines Artists unterlegt oder von bekannten Künstler:innen selbst hochgeladen.

Selbst Ole Obermann, Globaler Head of Music Business Development TikToks, erklärte 2021:

Music is at the heart of the TikTok experience. 

Wundern dürfte das in Anbetracht der Historie TikToks kaum. Musik war von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Plattform. Ursprünglich als "musical.ly" gestartet, war die App ein Ort, an dem Teenager Videos zu beliebten Songs synchronisierten. Plattenlabels erkannten schnell das Potenzial und lizenzierten ihre Musik an das Unternehmen, um ihre Künstler:innen zu fördern.

Die jüngsten Testergebnisse heben erneut den Einfluss von Musik auf den Erfolg der Videoplattform hervor. Somit könnte das Experiment genau das Gegenteil von dem erhofften Ausgang TikToks bewirken und die Verhandlungsposition der Musikbranchen-Stakeholder für die nächsten Gespräche mit der Plattform stärken.

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